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Aktuelle Version vom 29. November 2011, 18:20 Uhr

Die Klagelieder

Kapitel 4

Schuld und Schicksal der Bewohner Jerusalems

1 Ach, wie ist dunkel geworden das Gold, entstellt das echte Edelmetall! Zerstreut liegen die heiligen Steine an allen Straßenecken. 2 Sions Söhne, die Edlen, aufgewogen mit Feingold, ach, sie sind nur wie irdene Krüge geschätzt, wie Gebilde von Töpferhand! 3 Selbst Schakale reichen die Brust und säugen die Jungen. Doch meines Volkes Töchter sind grausam wie Strauße in der Wüste. 4 Des Säuglings Zunge klebte am Gaumen vor Durst. Kinder schrieen nach Brot, niemand brach es ihnen. 5 Wer Leckerbissen einst aß, erlag in den Gassen; die sich legten auf Purpur, schmiegten sich an Kehrichthaufen. 6 Die Schuld der Tochter meines Volkes übertraf die Sünde Sodoms, das plötzlich zerstört ward ohne Zutun von Menschenhand. 7 Ihre Jünglinge waren reiner als Schnee, weißer als Milch. Rosiger als Korallen war ihr Leib, ihre Gestalt dem Saphir gleich. 8 Ihr Aussehen wurde schwärzer als Ruß; man erkannte sie nicht in den Gassen. Es schrumpfte die Haut über ihren Knochen, sie wurden trocken wie Holz. 9 Glücklicher die vom Schwert Getroffenen als die vom Hunger Getroffenen, welche zusammenschmolzen, vom Nahrungsmangel durchbohrt! 10 Weichherzige Frauen kochten mit eigenen Händen ihre Kinder. Diese dienten ihnen als Mahl beim Sturz der Tochter meines Volkes. 11 Erfüllt hat der Herr seinen Grimm, ausgegossen seinen glühenden Zorn. In Sion hat er ein Feuer entzündet, das seine Grundfesten auffraß. 12 Nie hätten die Könige der Erde geglaubt und sämtliche Erdkreisbewohner, daß jemals ein Gegner und Feind Jerusalems Tore betrete.
13 Wegen der Sünden seiner Propheten und wegen der Frevel seiner Priester ist solches geschehen; sie vergossen in seiner Mitte das Blut der Gerechten. 14 Sie taumelten blind durch die Gassen, besudelt mit Blutschuld, so daß man ihre Kleider nicht anrühren durfte. 15 »Ihr Unreinen, fort!«, rief man ihnen zu. »Fort, fort, keine Berührung!« Da sie so schwankten und wankten, sprach man unter den Heiden: »Sie dürfen nicht länger verweilen!« 16 Der Herr selber hat sie zerstreut, schaut sie nicht mehr an. - Man achtete die Priester nicht, hatte kein Erbarmen mit den Greisen. 17 Wir schauten noch immer die Augen uns aus nach Hilfe für uns, doch vergebens! Auf unserer Warte spähten wir nach dem Volk, das nicht hilft. 18 Man belauerte unsere Schritte; wir konnten uns nicht im Freien bewegen. Nahe war unser Ende, erfüllt unsere Zeit, ja es kam unser Ende. 19 Unsere Verfolger waren schneller als die Adler am Himmel. Sie setzten uns nach in den Bergen, lauerten uns in der Steppe auf. 20 Der Gesalbte des Herrn, unser Lebenshauch, ward gefangen in ihren Gruben; wir aber hatten gedacht, in seinem Schutz unter den Völkern leben zu können.
21 Freu dich und juble, Tochter Edom, die du wohnst im Lande Uz! Auch an dich kommt der Becher; dann wirst du im Rausch dich entblößen. 22 Tochter Sion, deine Schuld ist zu Ende; fortan verbannt er dich nicht mehr! Tochter Edom, deine Schuld sucht er heim und enthüllt deine Sünden!


Fußnote

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