Isaias

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Einleitung zu den prophetischen Büchern.

Prophet, Nabi, ist ein Mann, der im Auftrage Gottes als Verkündiger und Dolmetscher von dessen Willen auftritt und demnach nicht aus eigenem Antrieb redet, sondern in Kraft der von Gott erhaltenen Sendung. Da Moses sich wegen seiner schweren Zunge weigert, den göttlichen Auftrag an Pharao auszuführen, gibt ihm der Herr seinen Bruder Aaron zur Seite, damit er die Worte Gottes in dessen Mund lege und Aaron für ihm zum Volke rede und sein Mund, sein Prophet sei [2Mos 7,1]. Auch das griechische Wort Prophet bezeichnet den, der den Willen eines anderen klar und verständlich macht. Hiernach sind also die Propheten Erklärer, insofern Gott sich ihrer bedient, um kundzutun, was er will. (Philo.) Nach der Erkenntnis werden sie auch Seher, nach ihrem Amte Wächter genannt, die von hoher Warte ihre Zeit überwachen und in die Zukunft schauen; oder sie werden im allgemeinen als Boten, Diener, Männer Gottes bezeichnet.

2. Die Aufgabe der Propheten war es, als höchste von Gott eingesetzte Lehrer das von Moses gegebene Gesetz zu bewahren, zu erklären, auszubilden und den neuen von Christus zu errichtenden Bund vorzubereiten. Alle ohne Ausnahme waren in Israel ihrem Ansehen unterworfen, [Ez 3,17] selbst Könige und Hohepriester. Wie ihre Autorität alle Klassen der Israeliten selbst umfasste, so erstreckte sie sich gleichmäßig auf das Privatleben, das öffentliche und das religiöse Leben der Israeliten. Da sie von Gott erleuchtet wurden, erbat man ihren Rat oft auch in den gewöhnlichen Angelegenheiten des Lebens. Vergl. [1Sam 9,6ff; 1Koe 14,1ff; 2Koe 1,2ff]. Insbesondere aber griff ihre Amtsbefugnis in das öffentliche Leben zur Zeit der Könige ein. Hatte Gott seinem Volke auch Könige gegeben, so blieb er selbst dennoch stets der höchste König desselben; deshalb war es die Aufgabe der Propheten, darüber zu wachen, dass die Könige das Reich nach den Geboten leiteten und dass sie jenen das Gesetz des Herrn als höchste Norm der Herrschaft ins Gedächtnis zurückriefen. Wie Samuel die Wahl des ersten Königs geleitet, so erklärte er Saul, als dieser sich weigerte, den Mahnungen des Propheten zu folgen, als verworfen und setzte David an seiner Stelle ein. Von dieser Zeit an hören die Propheten nie auf, die Könige zu mahnen und zu leiten, umso mehr als diese verpflichtet waren, durch die Propheten Gottes Willen zu erforschen. [Jes 8,19; Jes 30,2; Jer 37,3; Jer 42,2] u.a. Die Gottlosen schreckten sie mit der Androhung der göttlichen Gerichte und Strafen, den Frommen standen sie bei. Selbst zu auswärtigen Völkern wurden die Propheten bisweilen gesendet, sei es, um dem auserwählten Volke Schutz und Schirm zu werden, sei es um dasselbe zu belehren, dass der Herr, der Israel in besonderer Weise auserwählt, auch der Gott und Herr aller Völker der ganzen Erde sei, dass er auch diese leite und regiere, und dass, wenn er dieselben auch zur Züchtigung seines auserwählten Volkes gebrauche, doch auch jenen das Messianische Heil bestimmt sei.
Doch in allem ihrem Tun und Auftreten hatten die Propheten kein anderes Ziel als dass sie das auserwählte Volk in dem Bunde, den Gott mit ihm geschlossen, treu bewahrten, es zur Beobachtung des Gesetzes führten und auf den Neuen Bund vorbereiteten. Dabei mehrten sie auch die Grundlage des Glaubens durch neue Offenbarungen insbesondere über den verheißenen Erlöser.

3. Wenn wir fragen, ob das Amt der Propheten ein ordentliches und ständiges oder ein außerordentliches war, so lag etwas Außerordentliches in der Weise, wie es übertragen und nach Gottes Willen geübt ward, hingegen war es von Gott für eine bestimmte Zeit als fortwährendes und höchstes Lehramt gewährt. Außerordentlich war die freie Berufung Gottes (Samuels [1Sam 3,1ff]; Isaias [Jes 6]; Jeremias [Jer 1] u.a.). ohne dass ein Stamm, ein Alter, ein Amt, ja auch nur das Geschlecht ein Vorrecht verliehen hätte. Außerordentlich war ebenso die Ausübung des Berufes, die ebenso die Berufung selbst voll und ganz unmittelbar von Gott abhing, der Zeiten und Maß bestimmte (Hier., Thomas).
Eine ständige Einrichtung war das prophetische Amt als höchstes Lehramt, wie schon die Tatsache beweist, dass schon von Samuel bis Malachias, d.i. durch etwa 700 Jahre nie Propheten fehlten. Ja, wenn wir auch von der Zeit Josues bis auf Samuel die Reihenfolge der Propheten nicht aufzählen können, bezeugen Jeremias und Amos doch, dass Gott nicht aufgehört, sein Volk von dem Auszuge aus Ägypten an allezeit durch von ihm gesandte Propheten zu lehren und zu mahnen. Wie anders ferner hätten alle Kinder Israel durch mehr als tausend Jahre, selbst Priester und Könige nicht ausgenommen, den Propheten Glauben und Gehorsam schuldig zu sein gemeint, wenn es ihnen nicht bekannt war, dass der Beruf der Propheten ein beständig andauerndes, von Moses verkündetes, gottgegebenes Amt sei? In der Tat hatte Gott ja selbst auf Sinai [2Mos 20,18ff; 5Mos 5,19ff], das prophetische Amt als ein beständiges verheißen und Moses es als ein solches feierlich verkündet [5Mos 18,9-22]: Einen Propheten wie ich bin wird dir der Herr, dein Gott, aus deinem Volke und aus deinen Brüdern erstehen lassen, den sollst du hören. (V. 15) usw.
In diesem Texte lassen sich sechs Bestimmungen unterscheiden: 1) der Herr behält sich selbst die Berufung des jeweiligen Propheten vor und knüpft dieses Amt nicht, wie das der Priester und Leviten, an einen bestimmten Stamm Israels; 2) der Prophet soll die Mittelsperson sein, durch welche Gott zu seinem Volke sprechen und die Anfragen des Volkes beantworten will. 3) Demnach wird Gott ihm zeigen, was und wann er reden soll; 4) das Volk ist verpflichtet, dem Propheten Gehorsam zu leisten. – In der Tat war das Ansehen der Propheten bei allen Gutgesinnten groß (vergl. [1Sam 13,8; 2Sam 12; 1Koe 22,7; 2Koe 1,16; 2Chr 28,9; Sach 7,5] u.a.); 5) Gott wird dies eine Propheten angetane Verachtung rächen, (vergl. [Amos 2,13; Amos 7,16] usw. [1Koe 20,35.36; 2Chr 36,15] usw.); 6) Es soll an einen untrüglichen Wahrzeichen, die wahren und falschen Propheten zu unterscheiden, nicht fehlen; Gott wird seinen Propheten durch die Erfüllung des Vorhergesagten beglaubigen: „Wenn das nicht geschieht, was dieser Prophet im Namen des Herrn vorhergesagt hat, so hat der Herr es nicht gesprochen, sondern der Prophet hat es in der Vermessenheit seines Herzens erdichtet.“ Auf dieses Kriterium beruft sich in einem sehr kritischen Augenblick Jeremias einem Pseudopropheten gegenüber [Jer 28,6.9].

4. Zahl und Unterscheidung der Propheten. Die Zahl der Propheten ist nicht leicht festzustellen, wenngleich die Juden dieselbe auf 48 Propheten und 7 Prophetinnen berechnen. Unter Amasias oder wenigstens unter seinem Nachfolger Ozias begann die Reihe der Propheten, welche ihre Prophezeiungen zugleich schriftlich hinterließen. Von der Zeit des Nehemias bis zu Johannes dem Täufer, der in der Kraft des Elias den Kindern Israel Buße predigte und den Weg des Herrn bereitete, hörte die prophetische Gabe auf [1Mak 4,46; 1Mak 9,27; 1Mak 14,41; JSir 36,17], da das Volk das Gesetz wieder eifriger beobachtete und auf den Messias genugsam hingewiesen war. Freilich war eine Folge des Aufhörens des prophetischen Amtes auch die, dass das Volk sich in drei oder vier Sekten spaltete und nur das Priestertum und der hohe Rat noch das Band der Einheit bildeten.
Man kann die Propheten in zwei Klassen teilen: die älteren bis zur Zeit des Ozias (Azarias) vor Beginn des achten Jahrhunderts vor Christus, während die zweite Klasse die meisten jüngeren umfasst. Nicht als ob in dem Amte beider ein Unterschied wäre, waren sie doch alle von Gott als Verkündiger seines Willens unmittelbar berufen und eingesetzt und alle Eiferer für seine Ehre, doch anders war die Art, wie die älteren diesem Berufe entsprachen, anders als die jüngeren demselben nach der veränderten Zeitlage ihre Treue weihten. Als Beispiele der älteren können Elias und Elisäus gelten. All ihr Bemühen zielt darauf ab, das Volk und die Könige vom Götzendienste fernzuhalten und zur Beobachtung des Gesetzes zu führen, und ihre Voraussagungen, wenn sie solche machten, betrafen einen bald eintretenden Zeitpunkt. Ihr ganzes Bestreben geht darauf, ihre Zeitgenossen der Erfüllung der göttlichen Verheißungen würdig zu machen. Von dem Messias und seinem Reiche dagegen werden uns keine Reden derselben überliefert. Da indes die Strafen Gottes wie die Mahnungen und Wunder der Propheten nur auf harte Herzen trafen, musste Gott schwerere Heimsuchungen über sein Volk verhängen, um dessen Halsstarrigkeit zu brechen und es geeignet zu machen, seine Verheißungen aufzunehmen. Damit er aber einerseits dem Volke noch Zeit zur Buße gewährte, anderseits ihm vorweg die Erkenntnis erhielt, wer die Heimsuchungen sandte, wollte Gott lange vor deren Eintritt dieselben vorausverkünden lassen. So werden denn vom achten Jahrhundert v. Chr. an Israel die Assyrische Gefangenschaft, dem Reiche Juda die Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie die Babylonische Gefangenschaft vorausgesagt. Da nun aber diese Strafen zum Teil erst in weiter Ferne drohten, sollten die jüngeren Propheten dieselben schriftlich aufzeichnen, damit die Verkündigung auch den Nachkommen bekannt ward. Um indes zu verhüten, dass Israel sich durch die Verhängung der schweren Strafen von Gott verworfen glaubte und verzagte, wiesen die jüngeren Propheten auf die viel härteren Strafen hin, welche die Heiden treffen sollten, den Untergang ihrer Reiche, und verhießen, dass ein Überrest von Israel gerettet werden und die Zeiten des Messias schauen solle. So finden sich denn bei den jüngeren zahlreiche Prophezeiungen über den Messias selbst.
Die Juden zählen fünfzehn prophetische Bücher, Isaias, Jeremias, Ezechiel und die zwölf kleinen Propheten, während sie Daniel zu den heiligen Schriften rechnen, weil er nicht unter seinem Volke das prophetische Amt persönlich ausgeübt. Die Kirche hat das Buch Daniel zu allen Zeiten den Büchern der Propheten beigezählt. Man teilt die Propheten, deren Bücher in der Heiligen Schrift überliefert sind, in große und kleine Propheten, je nach dem Umfange ihrer Bücher. Die Vulgata bietet an erster Stelle die vier großen Propheten nach der Reihenfolge der Zeiten, in denen sie gelebt, sodann die kleinen Propheten, in deren Anordnung gleichfalls möglichst auf die zeitliche Aufeinanderfolge Rücksicht genommen ist.

5. Die prophetischen Bücher und deren Redeweise. Was die jüngeren Propheten dem Volke verkündeten, legten sie auch in Schriften nieder, damit es auch den nachfolgenden Geschlechtern kund ward und zum ewigen Zeugnisse diente. Selten zwar finden wir in der Heiligen Schrift den ausdrücklichen Befehl Gottes an die Propheten zu schreiben erwähnt, dass indes alle prophetischen Bücher aus Anregung des Heiligen Geistes geschrieben sind, bedarf keiner weiteren Darlegung. Wie hätte sonst z.B. Isaias sein Buch Buch des Herrn nennen können? [Jes 34,16; Ez 3,25ff] Meist schrieben sie aus den Reden, die sie zuvor gehalten, gleichsam einen Auszug nieder, indes manche Stücke sind niedergeschrieben, ohne je zuvor der mündlichen Verkündigung gedient zu haben. Hierher gehören nicht allein die historischen Darlegungen (wie das Buch des Propheten Jonas; [Jes 36-39; Jer 36-43; Dan 1-6] oder kürzere Einflechtungen) oder gewisse Abschnitte, welche den Charakter der Rede durchaus nicht an sich tragen, [Jes 6; Dan 7ff], sondern selbst einige Teile, in denen die Form der Rede zwar gewahrt ist, deren Inhalt aber sich für eine solche weniger eignet. Auch die Drohungen gegen die Heiden, Nahum [Jes 13ff; Jer 46ff], sind wohl nie mündlich öffentlich ausgesprochen.
Wie aber offenbarte Gott sich den Propheten? Der Herr selbst sagt es zu Moses: „Ist jemand unter euch ein Prophet, so werde ich ihm im Gesichte erscheinen oder durch Träume zu ihm reden.“ [4Mos 12,6] Die letztere Art ist, soweit uns bei den Propheten Andeutungen über die Weise der empfangenen göttlichen Mitteilungen vorliegen, im ganzen selten. Daniel schaut im Träume Visionen [Jes 7,1], Joel führt weissagende Träume als Gaben der Geistesausgießung an [Jes 2,28]. Das weitaus gewöhnlichere Mittel muss die visio gewesen sein; dafür bürgt schon der Name der Propheten: Sehende (Wort, das er sah), dafür die so häufige Benennung der Prophetie als Gesicht, oder auch verbum quod vidit [Jes 2,1; Jes 13,1]
Das Gesicht konnte in mehrfacher Weise statthaben. Nach den in der heil. Schrift gebotenen Beispielen lässt sich eine dreifache Art von Gesichten unterscheiden. Erstens eine Offenbarung, bei der den äußeren Sinnen etwas gezeigt wird; z.B. die Schrift an der Wand bei Daniel [Dan 5,25]. Dahin mag man es auch rechnen, wenn Gott auf äußerlich vernehmbare Weise durch Worte redet, wie z.B. zu Samuel. Diese Art ist seltener. Häufiger ist zweitens jene, welche den inneren Sinnen symbolische Bilder und Gegenstände darstellt; vergl. [Amos 8,1; Amos 9,1; Jer 1,13; Jer 24,1] usw.: [Ez 2,9] und [Ez 37; Sach 2,1-4; Sach 4; Sach 5; Dan 8].
Eine dritte Art besteht darin, dass Gott dem Geiste des Propheten höhere Erkenntnisse einstrahlt, ihn einen Blick tun lässt in die Geheimnisse seiner göttlichen Vorsehung, in die Normen der Weltregierung, in das Wesen und die Entwicklung des messianischen Heiles usw.
Mit der zweiten und dritten Art ist oft die Verzückung, die Ekstase, verbunden, so dass die äußere Sinnentätigkeit ganz oder teilweise gehemmt und absorbiert ist. Ein Beispiel bietet Ezechiel, der sich im Geiste nach Jerusalem versetzt sieht und dort die Greuel des Volkes und das über Tempel und Stadt hereinbrechende Unheil in dramatischen Bildern schaut (Kap. 8-12). Eine solche Ekstase ist wohl auch für die Berufungsvision des Isaias [Jes 6] anzunehmen; ebenso für [Ez 40] usw., [Dan 8,2] usw.
Mit Recht machen schon die heiligen Väter darauf aufmerksam, dass der Einfluss Gottes den Propheten nie das klare Bewusstsein benahm; sie betrachten es als ein unterscheidendes Merkmal zwischen der gottgewirkten Begeisterung und der diabolischen Nachäffung der Mantik, dass jene in völliger Klarheit des Selbstbewusstseins und mit dem Vermögen der deutlichsten Erinnerung in aller Ruhe und Würde verläuft, während diese Geist und Sinne umnebelt, fesselt und in wilden wutartigen Ausbrüchen, in schäumendem Toben sich kundgibt.
Nach diesen notwendigen Darlegungen über die Art, wie Gott den Propheten sich mitteilte, prüfen wir kurz die Form ihrer Rede. Da die Propheten Gesandte Gottes an das Volk waren, die durch Mahnung und von Gott eingegebene Rede die Frommen im Gesetze bewahren, die Gottlosen zu demselben zurückrufen, alle auf den Empfang des Neuen Bundes vorbereiten sollten, mussten sie sich der oratorischen Redeweise bedienen, welche sich nicht selten der poetischen nähert. Eine zweite Eigentümlichkeit der prophetischen Redeweise ist die Dunkelheit, besonders in den eigentlichen Prophezeiungen, über welche die heiligen Väter bereits klagen.
Ja, die Propheten selbst verstanden ihre Prophezeiungen nicht immer vollständig und wiesen deshalb auf die Erfüllung hin, die klareres Licht gewähren werde. Vergl. [Dan 8,27; Dan 12,8] - [Sach 1,9; Sach 2,2] u.a. bedarf der Erklärung des Engels. Ezechias weist die Leser [Ez 33,33] auf die Erfüllung hin, [Jer 23,20; Jer 30,24] verheißt das Verständnis bei der Erfüllung. Vergl. [Jes 29,11].
Viele Weissagungen sind durch ihre Erfüllung im Lichte des Evangeliums klarer geworden als sie einst den Juden und den Propheten selbst waren, doch viele bleiben ihrem Sinne nach auch für uns mehr oder weniger dunkel.
Einige sind noch nicht voll erfüllt, da sie von den letzten Zeiten handeln, andere, welche den Juden oder den Heiden gewisse Dinge voraussagen, bleiben dunkel, weil uns die Geschichte jener nicht genügend bekannt ist. Vieles endlich ist uns dunkel, weil es die höchsten, unergründlichen Geheimnisse betrifft, anderes ist durch die Weise, wie es vorgelegt wird, gleichsam in Wolken gehüllt.
Da die Propheten von Gott belehrt wurden, berichteten sie als treue Zeugen, was sie gesehen, auf dieselbe Weise, wie sie es geschaut. Daher
a. Erklärt es sich, warum sie bisweilen zukünftige Dinge wie gegenwärtige oder vergangene darstellen. Vergl. [Jes 7,14ff]. Ebenso [Jes 7,14; Jes 9,6; Jes 44,28ff; Jes 40 - Jes 66 (Allioli-Original: Jes 44,28ff 40-66); Jes 34,16]
b. Die Propheten sprachen als treue Zeugen nur das aus, was sie gesehen und wie sie es gesehen. Oft werden ihnen nur die äußersten Umrisse gezeigt. Doch eine besondere Schwierigkeit entsteht daraus, dass die Propheten bisweilen zeitlich weit auseinanderliegende Ereignisse in einer Prophezeiung vereinigten, als ob dieselben in die gleiche Zeit fielen, oder dass sie eine Tatsache, zu deren Herbeiführung Jahrhunderte erfordert werden, schon vollendet schauen und so darstellen. Vergl. [Jes 10,11; Jes 13,19] u.a. Wie uns die Sterne am gestirnten Himmel nahegerückt erscheinen und wir nicht ermessen, welcher Zwischenraum sie trennt, so sahen die Propheten zwar die Ereignisse voraus, nicht aber ihre zeitlichen Beziehungen. Während auf Bildern die entfernteren Dinge kleiner gezeichnet werden, erschienen ihnen die Bilder gleichsam nebeneinander. Ähnlich handelte der Heiland [Mt 24]. So sind denn alle Prophezeiungen wie Bruchstücke, die geordnet und zusammengestellt werden müssen, wenn man ein vollständiges Bild erhalten will. Wie dies geschehen kann, war den Juden verborgen und wäre auch uns noch verborgen, wenn wir nicht im Leben des Heilandes alles vereint und erfüllt sähen. c. Da die Propheten durch die Visionen unterrichtet wurden, kommen häufig Bilder in denselben vor, die sie alsdann so wiedergaben, wie sie dieselben geschaut. Diese Bilder sind teils aus der Geschichte und den Einrichtungen des Alten Testamentes entnommen, teils sind sie symbolisch. Wie die Apostel uns lehren, war die ganze alte Heilsanstalt ein Vorbild der Neuen und nach dem heiligen Paulus ist alles, was den Vätern begegnet, uns zum Vorbilde geschehen. Hieraus ist klar, warum Gott die gleichen Dinge brauchen wollte, um den Propheten die Zukunft zu offenbaren. Der Heiland wird im Alten Testamente in seiner dreifachen Würde durch die Priester, die Könige und die Propheten vorbedeutet, deshalb beschreiben ihn die Propheten als einen großen theokratischen König, und da sie in David, der der Vater (nach dem Fleische) und das Vorbild des Herrn war, einen König nach dem Herzen Gottes sahen, entnahmen sie aus seinem Bilde Farben, um den Messias darzustellen, ja nennen diesen schlechthin einige Mal David.
Ähnlich stellen sie den Messias als großen Propheten dar, der alle Völker lehren wird, als Hohenpriester, der sich selbst für die Sünden darbringt, und nennen das unblutige Opfer des Neuen Bundes mit dem gleichen Namen wie die unblutigen Darbringungen des Alten Testamentes. Auch Jerusalem und Sion treten in das Bild als Mittelpunkt des neuen Reiches, wie sie der des alten waren [Jes 2; Mic 5; Ps 86; Joe 2,32]. Die Feinde des Messianischen Reiches werden mit den Namen der Feinde des auserwählten Volkes bezeichnet usw. Auch um den Kult des Neuen Testamentes zu beschreiben, werden die Bilder aus dem Alten entlehnt. [Jer 33,18; Jes 16,23; Sach 14,16]
Von den Bildern sind die Symbole (nicht wirklich existierende aber zukünftige vorbedeutende Dinge) zu unterscheiden, unter deren Verhüllung den Propheten bisweilen zukünftige Dinge kundgetan wurden, wie [Jer 24; Amos 8]. Auch symbolische Handlungen gehören hierher, durch welche die Propheten bisweilen Zukünftiges andeuten mussten. [Jes 20; Jer 19] u.a.
Die alten Juden achteten nicht auf den prophetischen Charakter der Bilder und Symbole und erkannten deshalb in Jesus den verheißenen Messias nicht an, weil er kein mächtiger König war, der mit Waffengewalt die Feinde des auserwählten Volkes bezwang und diesem den Erdkreis unterwarf. In den entgegengesetzten Irrtum verfallen die Nationalisten, welche überall nur vage Bilder eines künftigen Umschwunges zum Besseren sehen. Um beide Klippen zu vermeiden, ist zu beachten: Bei den schon erfüllten Weissagungen gibt die Erfüllung den Schlüssel zum Verständnis derselben. An andern Stellen zeigt der Vergleich mit klaren und sicheren Weissagungen, was nur bildlich und metaphorisch zu verstehen ist und was nicht. So kann [Jes 25,6; Jer 33,18; Jes 56,6.7; Jes 60,7; Ez 40-48] nicht anderen Stellen widersprechen, wo das Aufhören des levitischen Kultes absolut ohne Bilder vorausgesagt wird. [Jer 3,16; Jer 31,31; Mal 1,11] u.a. Dass der Messias nicht David ist, wenn er auch irgendwo so genannt wird, ist klar, da er der Sohn Davids ist. Demgemäß auch sprechen die Propheten, wenn sie von einer Sache etwas sagen, was deren innerste Natur zerstören würde, tropisch, z.B. [Jes 11,6]. Das gleiche gilt von den Ausdrücken Sion, Jerusalem, Cyrus usw., wenn mit denselben Verheißungen verbunden werden, die jenen in seiner Weise zukommen können, denn es ist alsdann von deren Gegentypen die Rede. Als Bilder endlich sind auch jene Texte anzusehen, in denen auf die alte Geschichte Israels angespielt wird. Z.B. [Jes 4,4.5].


Prophezeiung des Isais.

Den ersten Platz nimmt unter den Propheten mit Recht die Prophezeiung Isaias ein, welche durch Schönheit und Erhabenheit der Sprache alle anderen überragt. Deshalb feiern ihn auch die heiligen Väter als Fürsten der Propheten mit hohen Lobsprüchen, ja der heilige Augustin nennt ihn „vielmehr Evangelist und Apostel als Prophet“.
Aus welchem Stamme der Prophet hervorging, ist unbekannt. Er scheint einer achtbaren Familie aus Jerusalem unter der Regierung des Ozias entsprossen und ward im letzten Jahre desselben, 747 v. Chr., zum Prophetenamte berufen. [Jes 6] Aus der Ehe mit seiner Gattin, welche gleichfalls Prophetin genannt wird [Jes 8,3], gingen zwei Söhne hervor, denen der Prophet von Gott bestimmte Namen gab, damit sie wenigstens durch diese Wahrzeichen wurden für Israel [Jes 7,3]. Er bezeugt selbst, dass er unter den drei Nachfolgern des Ozias, Joathan, Achaz, und Ezechias seines Prophetenamtes gewaltet habe [Jes 1,1]. Wie groß sein Ansehen war, zeigt nicht allein sein mutiges Auftreten gegenüber dem gottlosen Könige Achaz, sondern insbesondere der Freimut, mit dem er die Fehler der Großen und des ganzen Volkes angreift. Er übte sein Amt bis in die letzten Jahre des Königs Ezechias. Der Tradition der Juden entsprechend bezieht man [Hebr 11,37] öfter darauf, was die heiligen Väter von Justin an für glaubwürdig halten, hiernach beschloss er sein Leben durch das Martyrium, da die Juden ihn mit einer Holzsäge töteten, nachdem er zweiundfünfzig Jahre das Prophetenamt verwaltet.
Außer den Prophezeiungen, welche uns in der Heiligen Schrift bewahrt sind, verfasste Isaias auch ein geschichtliches Werk „Von den ersten und letzten Dingen“, vergl. [2Chr 26,22], d.i. über die Herrschaft des Königs Ozias, welche die Verfasser der Bücher der Könige und Paralipomena benützt haben. Das [2Chr 32,32] erwähnte Werk ist nichts anderes als Kap. 32 und 36-39 der Prophezeiung. Die Zeitumstände lassen sich nach der nachstehenden synchronistischen Tafel leichter ermessen (die Berechnungen können freilich auf Sicherheit nicht Anspruch machen).

Könige von Juda: Könige von Israel: Könige von Assyrien:
Jeroboam 802-762
Ozias (Azarias) 799-747 Salmanasar III (V.)
781-772
Zacharias 762 Assurdanil 771-754
Sellum 761
(Joathan wird Mitregent Manahem 760-750 Assurnirar 754-745
seines Vaters 757) Phakeia 750-748
Phakee 748-728
Joathan Alleinkönig Theglatphalasar II.
747-741 (Phul) 745-727
Achaz 741-725
Ezechias 725-696 Osee 728-720 Salmanasar IV. (VI.)
Zerstörung Samarias 720 727-721
Sargon 721-704
Manasses 696-641 Sennacherib 704-680
Esarhaddon 680-667
Amon 641-639 Assurbanipal 667-626
Josias 639-608 Assuredilel 626-606
Joachaz 608 Zerstörung der Stadt
Joakim 608-597 Ninive 606
Jechonias 597 Nabuchodonosor Mitregent
Sedekias 597-586 seines Vaters in Babylonien
605
Zerstörung des Reiches Juda Alleinregent 604-562


Das sämtliche Weissagungen dem Propheten Isaias zugehören, hat seit dritthalbtausend Jahren die jüdische und die christliche Kirche geglaubt. Erst in der neuern Zeit hat man den zweiten Teil der Weissagungen dem Propheten mit dem Einwande absprechen wollen, derselbe trage in Sprache und Darstellung das Gepräge einer späteren Zeit; in Wahrheit aber bestreitet man das Ansehen des zweiten Teiles, um nicht das Geständnis ablegen zu müssen, dass es wirklich Weissagungen gebe, die ihre tatsächliche Erfüllung gefunden haben. Das Buch ist in einer erhabenen, edlen und doch einfachen Sprache und mit der eindringlichsten Beredsamkeit geschrieben, voll Ermahnungen zur Buße für die Sünder, voll der Tröstungen für die Gebeugten und Verlassenen, eine reiche Schatzkammer für den Lehrer der Religion, der in der Geistessprache der Schrift ermahnen, trösten, strafen und bessern will.


Die Bibel: Isaias