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Zweiter Beweggrund – Angemessenheit und Nutzen dieser Hingabe
Jesus Christus, unser Herr und Erlöser, hat es nicht verschmäht, im Schoße der allerseligsten Jungfrau zu wohnen, wie ein Gefangener in völliger Leibeigenschaft, und ihr dreißig Jahre hindurch untertänig und gehorsam zu sein. Hier verliert sich der menschliche Geist, wenn er
ernstlich diesen Ratschluss der menschgewordenen Weisheit erwägt, welche sich den Menschen nicht unmittelbar schenken wollte, obwohl sie es hätte tun können. Nicht als erwachsener Mann wollte er in die Welt kommen, unabhängig von anderen, sondern als armes, kleines Kind, abhängig von der Pflege und Sorge seiner heiligen Mutter. Bei ihrem unendlichen Verlangen, Gott den Vater zu verherrlichen und die Menschen zu retten, konnte die ewige Weisheit kein vollkommeneres und sicheres Mittel finden, um dieses zweifache Ziel zu erreichen, als sich in allen Dingen der allerseligsten Jungfrau zu unterwerfen und zwar nicht nur während der ersten acht, zehn oder fünfzehn Jahre ihres Lebens, wie die andern Kinder, sondern dreißig Jahre lang. Ja, die menschgewordene Weisheit hat Gott dem Vater während dieser ganzen Zeit der Unterwerfung und Abhängigkeit von der allerseligsten Jungfrau mehr Ehre erwiesen, als wenn sie diese dreißig Jahre dazu verwendet hätte, Wunder zu wirken, auf der ganzen Erde zu predigen und alle Menschen zu bekehren. O wie sehr werden wir Gott verherrlichen, wenn wir uns Maria unterwerfen nach dem Beispiele Jesu! Da dieses so offenkundig und der ganzen Welt bekannt ist, könnten wir wohl so unverständig sein und glauben, dass wir ein vollkommeneres Mittel finden werden, um Gott zu verherrlichen, als das Beispiel des Heilandes zu befolgen, Maria zu gehorchen und uns ihr völlig hinzugeben? Zum Beweise dafür, wie zweckmäßig es ist, sich der allerseligsten Jungfrau völlig zu unterwerfen, erinnere man sich ferner an unsere früheren Erwägungen über das Verhältnis der drei göttlichen Personen zu Maria. Der Vater gab und gibt uns seinen Sohn durch Maria; so schafft er sich auch Adoptivkinder nur durch sie, und teilt ihnen seine Gnaden nur durch ihre Hände aus. Gott der Sohn wurde für die ganze Welt gebildet und nur durch Maria; so wird er auch jetzt noch alle Tage geistiger Weise gebildet und geboren nur durch Maria in Vereinigung mit dem Heiligen Geist, und teilt seine Tugenden und Verdienste nur durch sie den Erlösten mit. Der Heilige Geist hat Jesus Christus nur durch Maria gebildet; so bildet er auch heute noch die Glieder seines Leibes nur durch sie, und spendet seine Gaben und Gnaden nur durch sie den Auserwählten. Könnten wir wohl nach so mannigfachen und überzeugenden Beispielen der heiligen Dreifaltigkeit ohne äußerste Verblendung an Maria vorübergehen, ohne uns ihr zu weihen und von ihr abhängig sein zu wollen, um zu Gott zu gelangen und uns Gott zu opfern? Hier mögen noch einige lateinische Stellen von Vätern folgen, welche ich zum Beweise des soeben Gesagten ausgewählt habe: Duo filii Mariae sunt, homo Deus et homo purus: unius corporaliter et alterius spiritualiter Mater est Maria (St. Bonaventura und Origenes): „Zwei Söhne hat Maria, den Gottmenschen und den reinen Menschen; von dem einen ist Maria die leibliche, von dem andern die geistige Mutter.“ Haec est voluntas Dei, qui totum nos voluit habere per Mariam; ac proinde si quid spei, si quid gratiae, si quid salutis, ab ea noverimus redundare (St. Bernhard): „Das ist der Wille Gottes, der gewollt hat, dass wir alles durch Maria haben sollten; wenn daher irgendeine Hoffnung, eine Gnade, oder irgendetwas Gutes in uns ist, so sollen wir wissen, dass es von ihr uns zugeflossen ist.“ Omnia dona, virtutes et gratiae ipsius Spiritus Sancti, quibus vult, quando vult quomodo vult et quantum vult, per ipsius manus administrantur (St. Bernardin): „Alle Gaben, alle Tugenden und Gnaden des Heiligen Geistes werden durch ihre (Mariä) Hände ausgeteilt, wem sie will, wann sie will und wieviel sie will.“
Qui indignus eras cui daretur, datum est Mariae, ut per eam acciperes, quidquid haberes (St. Bernhard): „Da du unwürdig warst, dass es dir gegeben wurde, wurde es Maria gegeben, damit du durch sie alles empfingest, was du hast.“ Weil Gott sieht, dass wir unwürdig sind, seine Gnaden unmittelbar aus seiner Hand zu empfangen, sagt der hl. Bernhard, gibt er dieselben Maria, damit wir durch sie alles besitzen, was er uns geben will. Gott findet dementsprechend auch seine Ehre darin, durch die Hände Mariä von uns die Dankbarkeit, die Ehrfurcht und die Liebe zu empfangen, welche wir ihm für seine Wohltaten schulden. Es ist also durchaus gerecht, dass wir dieses Verhalten Gottes nachahmen, damit die Gnade zu ihrem Urheber durch denselben Kanal zurückkehre, durch den sie gekommen ist: Ut eodem alveo ad largitorem gratia redeat quo fluxit (St. Bernhard). Das geschieht aber durch unsere Andacht: Man opfert und weiht alles, was man ist und was man hat, der allerseligsten Jungfrau, damit Gott durch ihre Vermittlung die Ehre und Dankbarkeit empfange, die man ihm schuldet. Man erkennt sich für unwürdig und unfähig, der unendlichen Majestät Gottes sich unmittelbar zu nähern und bedient sich deswegen der Hilfe und Fürsprache der allerseligsten Jungfrau. Diese Andacht ist schließlich eine Übung großer Demut, einer Tugend, welche Gott mehr liebt, als alle anderen. Eine Seele, welche sich selbst erhöht, erniedrigt Gott; eine Seele, die sich selbst erniedrigt, erhöht Gott. Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er seine Gnade. Wenn ihr euch selbst erniedrigt, indem ihr euch für unwürdig haltet, vor ihm zu erscheinen und euch ihm zu nähern, lässt er sich herab, um zu euch zu kommen, um in euch seine Freude zu finden und euch zu erhöhen über alles Erwarten. Wenn man sich dagegen Gott dreist nähert ohne jeden Vermittler, so zieht sich Gott zurück, sodass man ihn nicht erreichen kann. O wie liebt er bei uns die Demut des Herzens! Zur Demut verpflichtet diese Andachtsübung, da sie den Menschen lehrt, sich niemals unmittelbar dem Herrn zu nahen, wie mild und barmherzig er auch ist, sondern sich immer der Vermittlung der allerseligsten Jungfrau zu bedienen, um vor Gott zu erscheinen, mit ihm zu reden, ihn um etwas zu bitten, ihm etwas zu opfern oder sich mit ihm zu vereinigen und sich ihm zu weihen.
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