Kategorie:Das goldene Buch:Einleitung

Aus Vulgata
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Abhandlung von der Wahren Andacht zur allerseligsten Jungfrau Maria


Durch die allerseligste Jungfrau Maria ist Jesus Christus in die Welt gekommen, durch Maria soll er auch in der Welt herrschen. Während ihres irdischen Lebens hat sie stets in größter Verborgenheit gelebt. Deshalb wird sie vom Heiligen Geist und von der Kirche genannt: Alma Mater, „verborgene, stille Mutter“. Ihre Demut war so tief, dass sie auf Erden kein innigeres und beharrlicheres Verlangen hatte, als sich selbst und jedem anderen Geschöpfe verborgen zu bleiben, um Gott allein bekannt zu sein. Um ihr Verlangen nach Verborgenheit, Armut und Erniedrigung zu stillen, hat es Gott gefallen, sie in ihrer Empfängnis, in ihrer Geburt, in ihrem Leben, in ihren Geheimnissen, in ihrer Auferstehung und Himmelfahrt fast vor jedem menschlichen Geschöpfe verborgen zu halten. Nicht einmal ihre Eltern kannten sie; selbst die Engel fragten oft einander: Quae est ista? „Wer ist diese?“, da der Allerhöchste ihnen die Bestimmung dieser Jungfrau verheimlichte, oder wenn er ihnen etwas von ihr offenbarte, ihnen doch noch unendlich mehr vorenthielt. Gott dem Vater gefiel es, dass Maria während ihres Lebens kein einziges Wunder wirkte, wenigstens kein offenkundiges, obwohl er ihr dazu die Macht verlieh. Gott der Sohn billigte es, dass sie fast nichts redete, obwohl er ihr seine Weisheit mitteilte. Gott der Heilige Geist willigte ein, dass seine Apostel und Evangelisten nur sehr wenig von ihr sprachen, obwohl sie seine getreue Braut war, und dass sie nur soviel von ihr berichteten, als notwendig war, um Jesus Christus bekannt zu machen. Maria ist das herrliche Meisterwerk des Allerhöchsten, dessen Kenntnis und Besitz er sich allein vorbehielt. Maria ist die wunderbare Mutter des Sohnes Gottes, dem es gefiel, sie während ihres Lebens zu verdemütigen und verborgen zu halten. Um sie in der Demut zu fördern, nannte er sie, wie eine fremde Person, „Frau“ und „Weib“, obwohl er sie in seinem Herzen höher schätzte und mehr liebte als alle Engel und Menschen. Maria ist die versiegelte Quelle und die getreue Braut des Heiligen Geistes, zu der er allein Zutritt hat. Maria ist das Heiligtum und die Ruhestätte der allerheiligsten Dreifaltigkeit, wo Gott erhabener gegenwärtig ist, als an irgendeinem anderen Ort des Universums, und herrlicher thront als über den Cherubim und Seraphim. Ohne ein ganz besonderes Vorrecht ist es daher keinem Geschöpf erlaubt, so rein es auch sein mag, in dieses Heiligtum einzutreten. Mit den Heiligen sage ich: die Gottesmutter ist das irdische Paradies des neuen Adam, in dem er durch Mitwirkung des Heiligen Geistes Fleisch annahm, um daselbst unbegreifliche Wunder zu wirken. Sie ist die große und herrliche Welt Gottes, die unaussprechliche Schönheiten und Schätze in sich birgt. Sie ist die Wonne des Allerhöchsten, in der er seinen eingeborenen Sohn wie in seinem eigenen Schoße geborgen hat und mit ihm alles Herrliche und Kostbare. O, welch große und geheime Dinge hat der allmächtige Gott in diesem wunderbaren Geschöpf gewirkt, was sie selbst trotz ihrer tiefen Demut mit den Worten bestätigt: Fecit mihi magna, qui potens est (Lk 1,49), „Großes hat an mir getan, der da mächtig!“ Die Welt kennt diese Geheimnisse nicht, weil sie dazu nicht fähig und dessen nicht würdig ist. Die Heiligen haben wunderbare Dinge von dieser heiligen Stadt Gottes ausgesagt und waren nach ihrem eigenen Geständnis nie beredter, nie glücklicher, als wenn sie von ihr sprechen konnten. Feierlich bekennen sie, dass es unmöglich sei, die Größe ihrer Verdienste zu begreifen, die sich bis zum Throne Gottes erheben, die Weite ihrer Liebe zu ermessen, die sich über alle Länder der Erde erstrecke, die Größe ihrer Macht zu erfassen, die sie Gott gegenüber besitze, und endlich die Tiefe ihrer Demut, aller ihrer Tugenden und Gnaden zu durchdringen, die einem unerforschlichen Abgrunde gleichen. Alles preist, alles verkündet von Tag zu Tag, von einem Ende der Erde bis zum andern, von den höchsten Regionen des Himmels bis zu den tiefsten Gründen der Erde die wunderbare Jungfrau Maria. Die neun Chöre der Engel, die Menschen jeglichen Geschlechtes, Alters, Standes und jeglicher Religion, Gute und Böse, bis hinab zu den Dämonen, sind durch die Macht der Wahrheit unwiderstehlich gezwungen, Maria selig zu preisen. Alle Engel des Himmels, sagt der hl. Bonaventura, rufen ihr fortwährend zu: Sancta, Sancta, Sancta Maria, Dei Genitrix et Virgo, „heilig, heilig, heilig bist du Maria, Gottesgebärerin und Jungfrau“, millionenmal des Tages bringen sie ihr den Engelsgruß Ave Maria dar, und bitten sie in tiefster Ehrfurcht um die Gnade, von ihr mit einigen Aufträgen beehrt zu werden. Ja, Sankt Michael, sagt der hl. Augustinus, obwohl der Fürst des ganzen himmlischen Hofes, ist am eifrigsten bemüht, ihr alle Ehre zu erweisen und erweisen zu lassen, und steht selbst immer bereit, auf ihr Wort hin einem ihrer Diener zu Hilfe zu eilen. Die ganze Erde ist erfüllt von ihrem Ruhm. Wie viele Königreiche, Diözesen und Städte haben sie zu ihrer Patronin und Beschützerin erwählt! Wie viele Dome sind Gott unter ihrem Namen geweiht! Kaum eine Kirche gibt es ohne einen Altar zu ihrer Ehre; kaum ein Land, eine Gegend, wo man nicht eines ihrer wundertätigen Bilder verehrte, vor dem Kranke und Elende von allen möglichen Übeln geheilt, Hilfesuchende mit mannigfachen Gnaden beglückt und bereichert werden. Wie groß ist die Zahl der Bruderschaften, Kongregationen und Orden, die den Namen Mariä tragen und unter ihrem Schutze stehen! Wie viele Tausende von Mitgliedern all dieser Bruderschaften, wie viele Mönche und Nonnen in all jenen Orden singen ihr Lob und preisen ihre Barmherzigkeit! Selbst der Kinder Mund, der kaum das Ave Maria zu stammeln vermag, verherrlicht den Namen dieser guten Mutter. Die Sünder wenden sich in reumütiger Gesinnung voll Vertrauen an diese barmherzige Vermittlerin am Throne Gottes, selbst die Teufel in der Hölle zittern vor ihr mit Furcht und Schrecken und tragen so zu ihrer Verehrung bei.
Demnach muss man in Wahrheit mit den Heiligen sagen: De Maria nunquam satis, „man hat Maria noch nie genug gepriesen und erhöht, noch nie genug verehrt und geliebt, und ihr noch nie genug gedient.“ Deshalb muss man mit dem Heiligen Geist sprechen: Omnis gloria eius Filiae Regis ab intus (Ps 44,14), „alle Verherrlichung der Tochter des Königs kommt aus dem Innern.“ Alle äußere Ehre, welche ihr Himmel und Erde wetteifernd darbringen, ist nichts im Vergleich zu der inneren Verherrlichung, die sie vom Schöpfer empfängt, die uns winzigen Geschöpfen verborgen bleibt, weil wir in das Geheimnis der Geheimnisse des Königs nicht einzudringen vermögen. Daher müssen wir mit dem Apostel ausrufen: Nec oculus vidit, nec auris audivit, nec in cor hominis ascendit (1Kor 2,9), „kein Auge hat gesehen, kein Ohr gehört und kein Menschenherz hat je begriffen die Schönheit, die Größe und Herrlichkeit Mariä.“ Sie ist das Wunder aller Wunder der Natur, der Gnade und der Glorie. Wenn ihr die Mutter begreifen wollt, sagt ein Heiliger, dann begreifet den Sohn, denn sie ist eine würdige Mutter Gottes: Hic taceat omnis lingua! „Hier schweige jede Zunge!“ Das Herz hat mir in die Feder diktiert, was ich soeben mit ganz besonderer Freude niederschrieb, um zu zeigen, dass Maria in ihrer hehren Würde bis jetzt fast unbekannt geblieben ist. Das ist auch einer der Gründe, weshalb Jesus Christus noch nicht die allgemeine Anerkennung gefunden hat, die ihm gebührt. Wenn daher, was ja sicher geschehen wird, die Kenntnis und das Reich Jesu Christi die Welt beherrschen soll, so kann dies nur dadurch erreicht werden, dass vorher die Erkenntnis und das Reich Mariä in der Welt verbreitet wird. Die allerseligste Jungfrau hat den Heiland zum ersten Mal der Welt geschenkt und wird ihn uns auch zum zweiten Mal schenken.

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